„Es war undenkbar, darum haben wir es getan.“


Vor fast dreißig Jahren wusste kaum jemand, was Palliativmedizin eigentlich ist. Heute gibt es intensive Nachfrage, breites Wissen und es gibt eine hochgelobte Palliativstation in Rissen.

Der Weg dahin war lang und er wurde initiiert und vollendet von zwei Persönlichkeiten, die das Thema „Sterbende Menschen“ zu ihrem Lebensthema gemacht haben.

Barbara Wille-Lehmann, seit vielen Jahren Vorsitzende des Fördervereins Palliativstation im Asklepios Westklinikum Hamburg, war federführend in dem Prozess um den Förderverein. Was die Station anging, war der Gründer der Palliativstation Dr. Hans-Joachim Lehmann, prägend, aktiv und voller Pioniergeist. Als Arzt für Anästhesie mit Zusatzqualifikationen in Schmerztherapie und Palliativmedizin war er dafür prädestiniert. Deutschland war Ende der 1980er Jahre palliatives Brachland, zu der Zeit gab es nur in England, dem Mutterland der Palliativmedizin, Stationen, Fachpersonal und ambitionierte Forschung.

1975 lernte sich das Paar in der Universitätsklinik Göttingen kennen. Dr. Lehmann absolvierte dort seine Facharztausbildung und begann gerade die Ausbildung zum Schmerztherapeuten. Barbara Wille-Lehmann war Stationsleitung in der Inneren Medizin. Bereits damals fand sie die Begleitung sterbender Patienten keineswegs angemessen und dachte mit ihrem Team und dem Krankenhausseelsorger immer wieder über einen anderen Umgang mit Sterbenden nach. Auf ihrer Station führte sie ein, dass immer eine Pflegeperson bei sterbenden Patienten blieb, wenn keine Angehörigen anwesend waren. Und zwar unabhängig davon, was auf der Station sonst noch zu tun war.

1987 zog das Paar nach Hamburg, Dr. Lehmann begann als Oberarzt in der Anästhesie Abteilung des damaligen „Rotkreuz-und Freimaurer Krankenhaus Hamburg Rissen“, Barbara Wille-Lehmann als Krankenschwester in der Inneren Medizin. Damit waren die Weichen gestellt. 1990 lernte Dr. Lehmann auf einem Kongress Professor Friedeman Nauck kennen, damals Oberarzt der zweiten deutschen Palliativstation am Malteser Krankenhaus in Bonn. Wieder in Hamburg berichtete Dr. Lehmann seiner Frau begeistert von dem Gespräch über diese neue Station. Fasziniert bewarb sie sich dort umgehend um ein Praktikum und war danach restlos überzeugt und entflammt. Dort waren all die Bedingungen erfüllt, von denen sie immer geträumt hatte - ihre Vorstellungen zur Betreuung Sterbender und Schwerstkranker waren wirklich möglich!

Damit war klar:

Das Ehepaar würde sich ab sofort intensiv für die Einrichtung einer Palliativstation am Rissener Krankenhaus einsetzen. Zu diesem Zeitpunkt wurde in jedem Bundesland eine Palliativstation im Modellversuch mit wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt, gefördert von der Deutschen Krebsgesellschaft. Das Thema entwickelt sich, Kontakte zu Hospizinitiativen gab es genügend, auch in der Hansestadt und so entstand schnell ein kleines Netzwerk. [1] Im Krankenhaus entstand parallel ein Arbeitskreis, in dem interessierte Krankenhausmitarbeiter aktiv wurden und mit kleinen Informationsveranstaltungen und erster Öffentlichkeitsarbeit auf das noch völlig unbekannte Thema aufmerksam machten. Dreimal (!) wurden die wechselnden Geschäftsleitungen des Klinikums für das Palliativ-Projekt gewonnen, schließlich mussten sie die notwendigen Vorrausetzungen für die neue Station schaffen. Parallel erwarb Dr. Lehmann die Zusatzbezeichnungen Palliativmedizin und Schmerztherapie und war damit bestens für die Palliativarbeit vorbereitet.

Die damalige Oberin des Krankenhauses, Frau Dagmar Avital, empfahl dringend, einen Förderverein zur Unterstützung der Station zu gründen, auch wenn diese damals noch nicht einmal in Planung war. So geschah es und heute hat dieser Verein fast 400 Mitglieder, die auf sehr unterschiedliche Weise die Arbeit der Station unterstützen. Es war ein langer und beschwerlicher Weg, der nach acht Jahren im Oktober 1998 in die Eröffnung der Station mündete. Was für ein Erfolg, was für eine Freude!

Die Entscheidung des damaligen Geschäftsführers Dr. Hummel, sich über alle kaufmännischen Bedenken hinweg zu setzen und die Station entschlossen einzurichten, war ein Segen. So endete der Planungsweg endlich, es ging direkt in die Praxis - und das mit großem Engagement, hochprofessioneller Behandlung und Begleitung.
Die erste Palliativstation in Deutschland wurde 1983 an der Universitätsklinik Köln eröffnet. * Das erste Hospiz in Deutschland 1986 in Aachen* Das erste Kinderhospiz in Deutschland öffnete 1998 in Olpe seine Pforten. * 13 188 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin verzeichnet die Deutsche Ärztestatistik Ende. 2019. * 2005 waren es 101.* Mehr als 120 000 Menschen kümmern sich bundesweit laut des Deutschen Hospiz- und Palliativ Verbandes ehren- oder hauptamtlich um schwerstkranke und sterbende Menschen. * 2021 gibt es 338 Palliativstationen und 245 stationäre Hospize für Erwachsene. * Für Kinder und Jugendliche 3 Palliativstationen und 18 stationäre Hospize. * Bundesweit gibt es 361 Teams der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung, 35 davon für Kinder und Jugendliche. * Rund 1500 ambulante Hospizdienste sind für Schwerstkranke und ihre Familien da. Etwa 150 davon kümmern sich speziell um Kinder und Jugendliche.

Die Palliativstation liegt im Erdgeschoss von Haus 1 des Krankenhauskomplexes. Ein gemütliches Wohnzimmer und eine eigene Terrasse machen die 9-Betten-Station zu einem Ort der Begegnung von Patienten, Angehörigen und dem Team. Hier wird geklönt oder gespielt und bei gutem Wetter werden die Betten nach draußen gerollt, damit die Patienten die Natur und das schöne Wetter genießen können.

Die durchschnittliche Liegedauer beträgt 9 bis 11 Tage. Diese Spanne kann je nach Krankheitsbild auch mehrere Wochen dauern. Die Entlassung wird bei rund 60% der Patienten erreicht, 40% der Patienten sterben auf der Station. Die Begleitung aller Menschen auf der Station spielt eine große Rolle, die Kommunikation mit den Patienten und Angehörigen ist dem ganzen Team überaus wichtig.

Das Team besteht aus der Chefärztin, zwei Oberärzten, einer Assistenzärztin, den Krankenschwestern-und pflegern, einer Sozialpädagogin mit psychoonkologischer Zusatzausbildung, einer Koordinatorin für den Einsatz der ehrenamtlichen Mitarbeiter, einer Musiktherapeutin, den Physiotherapeuten und einer Krankenschwester für das Belegungsmanagement. Dazu kommt die Krankenhausseelsorgerin. Die Supervision des Teams wird vom Förderverein finanziert und hilft mit den oft belastenden Erfahrungen besser fertig zu werden. Die Trauerbegleitung für die Angehörigen wird sowohl von der Sozialpädagogin als auch einer weiteren Trauerbegleiterin  angeboten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind sowohl auf der Station als auch in der häuslichen Begleitung entlassener Patienten im Einsatz.

Dr. Lehmann war vom ersten Tag an leitender Arzt dieser Station. Über seine langjährige Arbeit sagt er: „Ich habe zwanzig Jahre sehr gern im OP gearbeitet. Der Anästhesist im OP hat allerdings immer nur kurzen Kontakt zum Patienten, ist aber natürlich bemüht, ihn optimal durch die Operation zu führen. Auf der Palliativstation haben wir uns im Team um die körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Probleme der Patienten bemüht. Häufig waren ethische Fragen Thema. Die Betreuung ist ganzheitlich und es entstehen intensive Beziehungen. Das war eine große Veränderung zu den Jahren als Anästhesist und das hat mich sehr zufrieden gemacht.“

Barbara Wille-Lehmann hat parallel ihre Kraft in den Förderverein gesteckt und ihn mit großem Einsatz aufgebaut, ihm Kontur und Kraft gegeben. Aus den Spendengeldern wurde bereits seit Beginn der Aufbauphase der Station die personelle, wohnliche und auch die technische Ausstattung entscheidend mitfinanziert. Und dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hat. Es wurde ein Orden verliehen! Und zwar an Frau Wille-Lehmann für ihren enormen ehrenamtlichen Einsatz in der Hospiz- und Palliativarbeit. Dafür bekam die leidenschaftliche Verfechterin der Palliativarbeit am 29.5.2019 das Bundesverdienstkreuz am Bande von Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks überreicht. Angeregt wurde diese Ehrung von ihrem Enkel. Barbara Wille-Lehmann nahm den Orden symbolisch für alle Mitarbeiter und vor allem auch für ihren Mann entgegen. Ohne das jahrzehntelange Miteinander, den Austausch und das gegenseitige Unterstützen im Team wäre der Förderverein und letztlich auch die Station nicht das, geworden, was sie heute einander ergänzend sind.

Und so rundet sich der Weg, der auch jetzt keineswegs endet und wir blicken mit höchstem Respekt auf das Ehepaar, das die Wege der sterbenden Menschen durch ihren Beruf und ihre Berufung, ihr nie nachlassendes persönliches Engagement nachhaltig verändert, radikal verbessert und menschlicher gemacht hat.
 


[1] Später Landesverband Hospiz-und Palliativarbeit Hamburg (im DHPV).
23.03.2023

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